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Auf zur lustigen Zugfahrt durch Oberbayern
Die landsberger bühne feiert mit „Erster Klasse“ Premiere im ausverkauften Stadttheater. Das Ensemble gibt eine amüsante Anleitung, um Zugmitfahrende möglichst entnervt zurückzulassen.

Von Vanessa Polednia

Wer kennt sie nicht, die lästigen unter den Mitfahrenden im Zug? Da gibt es den Genussmensch. der seinen Döner aus der Alufolie packt, oder den Dauerdaddler, der seine Kopfhörer vergessen hat und seine Umgebung an seinem Handyspiel lautstark teilhaben läset. Im Zug triff man auf Menschen, mit denen man im Alltag wohl nicht unbedingt zu tun hat. Vielleicht liegt es auch daran. dass man die Situation Ludwig Thomas Einakter „Erster Klasse“ so gut nachvollziehen kann – und das über hundert Jahre später. Der Bauernschwank spielt in einem Eilzugabteil in Oberbayern, auf der Fahrt von Mitterdingharting zum Münchner Ostbahnhof zur Zeit der Uraufführung, also um 1910. Damals kannte man weder Mobiltelefon noch das deutsch-türkische Sandwich – dafür aber Menschen, die einander höchstamüsant auf die Nerven gehen können, wie die landsberger bühne In ihrer Adaption des Stücks beweist. Doch zuvor stellt sich die Frage; Kann man ein Ludwig Thoma überhaupt noch aufführen? Schließlich wurde der bayerische Volksdichterdichter und Komödienschreiber am Ende seines  Lebens zum wüsten Aufheizer und Autor antisemitischer Schriften. Die landsberger bühne möchte mit der Aufführung diesen Umstand „weder ignorieren noch bagatellisieren‘. heißt es im schön gestalteten Beiheft. Das Ensemble habe sich deshalb gründlich mit Thoma und dem Stück auseinandergesetzt und sei zu dem Schluss gekommen, dass „Erster Klasse“ weder zeitlich noch inhaltlich auf seine spätere radikal-patriotische Seite hindeutet. Es bleibt  ein heikles Thema, doch die vor Premierenbeginn bereits restlos verkauften Karten mitsamt Warteliste für die insgesamt sieben Aufführungen sprechen Bände. Das Publikum hat entschieden: Es will das Thoma Stück sehen. Kein Wunder, schließlich blickte wohl kaum einer so tief In die bayerische Seele. So auch in „Erster Klasse“. Die Vorfreude ist zu spüren, als die zahlreichen Besucherinnen und Besucher zur Premiere am Freitagabend in den Theatersaal strömen. Gewohnt minimalistisch und den noch völlig ausreichend für das Stück gestaltet sich Bühnenbild. Ein Zugabteil ist zu sehen, in dem bald sehr unterschiedliche Menschen Platz nehmen. Da ist das norddeutsche Ehepaar Alfred und Lotte von Kleewitz auf dem Weg in die Flitterwochen. Ein königlich-bayerischer Ministerialrat namens Scheibler liest eifrig in einer Zeitung. Man würde sich höflich ignorieren, wenn da nicht Friedrich Wilhelm Stüve aus Neuruppin wäre. Der Kaufmann mit der Berliner Schnauze klopft ungeduldig mit dem Fuße auf dem Boden, sieht ständig auf seine Taschenuhr und kann nicht fassen, was man in Bayern einen Schnellzug nennt Die Schaffnerin kommt und geht, ruft das eine auf das nächste Mal die nächste Ortschaft aus, in der der Zug hält. Und dann stößt mit Josef Filser auch noch ein Mensch in das Zugabteil, der mit Tracht und rustikalen Manieren so gar nicht in die erste Klasse passt.

Es macht Spaß der Laienschauspielgruppe zuzusehen. Sie haben eindeutig komödiantisches Talent und die Pointen sitzen. Textsicher sind sie allemal Steffi Maiers Schaffnerin strahlt genau die Richtung Portion verschmitzte Gelassenheit aus. Eine weise Entscheidung Schaffner und Zugführer aus dem Original zu einer Person zusammenzufassen. Das gibt dem Stück mehr Klarheit und Maier mehr Einsatzzeit. Wüsste man es nicht besser, könnte man meinen, Mike Bischof sei tagtäglich Im dreiteiligen Tweed-Anzug auf dem Weg zum nächsten Verkaufsgespräch. Bei seinem Kaufmann Stüve sitzt „Jedes Icke“ „Dit is ´ne Frechheit“. „Nich wahr?“ und „Na. Du bist mir vielleicht ’ne Marke!“.
Noch authentischer ist Sepp Wörsching als Josef Filser. Gekonnt und ohne große Gesten mimt er einen bäuerlichen Charakter, der nicht unterschätzt werden sollte. Im Zwiegespräch mit dem Gleichgesinnten Xaver Gsottmaier (authentisch verkörpert von Harald DoIIinger) wirkt er noch gelöster, und sein Lachen steckt an, selbst wenn man Probleme hat, manchen bayerischen Ausdruck zu verstehen. Ein kurzen, aber vom Publikum applaudierten Auf tritt hat Sabine Mühlbauer. Als Marie Filser verabschiedet sie sich am Bahnsteig von ihrem Gatten. Mühlbauer und Wörsching verabschieden sich so vertraut und entnervt, wie es wohl nur lang verheiratete können. Stichwort: „Du dappiga Hanswurscht. du dappl[1]ga!“ Am lustigsten sind die Momente, wenn „Preiß“ und Bayer aneinander vorbeireden. Denn nicht nur die unterschiedlichen Dialekte sorgen für Verständigungsprobleme, sondern auch unterschiedliche Weltanschauungen. Etwa, wenn der Kaufmann mit seinem Kunstdünger beim Bauer auf Unverständnis stößt und selbst nicht glauben kann, wie „reaktionär“ das bayerische Volk ist. Die Einspieler aus dem „Autobahn“,  dem bekanntesten Song der Blasmusikband La Brass Banda, sind wichtig, denn trotz der recht kurzen Spielzelt von 75 Minuten zieht sich das Stück zeitweise, Grund sind die teilweise langen Monologe über Kunstdünger im Berliner Dialekt des Kaufmanns Stüve oder die sich später doch ab nutzenden bayerischen Verwünschungen. die sich Filser und Gsottmaier gekonnt zuspielen. Linus Olbrich als Alfred von Kleewitz und Christina Kunze als dessen Ehefrau Lutte bleiben in der Vorführung eher blass und machen damit vielleicht alles richtig. Wer die rosarote Brille der frisch Verliebten trägt, wird nämlich schon einmal recht einsilbig und desinteressiert an der Umwelt. Ähnlich geht es einem mit Ministerialrat Scheibler, den Ralph Wilbert erst hochnäsig und dann kriecherisch, aber vor allem herrlich steif spielt. Sympathien für die Bürokratie weckt er damit kaum, ganz zur Freude des
Publikums.
Zum Abschluss wurde das gesamte Ensemble eifrig und berechtigterweise beklatscht. Juri Olbrich beweist mit „Erster Klas se“, dass er auch in der Regie gut aufgehoben ist

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