Irr-Sein ist menschlich
landsberger bühne landet mit „Pension Schöller“ Volltreffer
11.01.20 Susanne Greiner
Landsberg – Was normal ist und was nicht, ist eine Frage der Perspektive. Genau so, wie für einen Floh der Hund die Welt ist, mag manch wohlsituiert-sesshaftem Onkel die Reisewut eines Weltenbummlers verrückt erscheinen. Mit der Komödie „Pension Schöller“ nimmt sich die landsberger bühne diesem Thema im Stadttheater an. Und bietet einen ungemein unterhaltsamen Abend mit textsicheren und spielfreudigen Schauspielern, einem perfekt reduzierten Bühnenbild und einem charmanten Transfer des Stücks ins München der Wirtschaftswunderjahre.
Gleich am ersten Tisch des Cafés ist eines jener exzentrischen Subjekte zu sehen, die Stammgäste der Pension Schöller zu sein scheinen: Hinter einer ganzen Batterie aus Bier- und Korngläsern schwingt ein leicht verlotterter Maler (Mike Bischof) den Bleistift, um nach drei Linien und ebenso vielen Schlucken aus beiden Gläsern das Papier zu zerknüllen und auf den Boden zu werfen. Dort türmen sich bereits die Knäuel, die Bedienung Josefa (Sabine Mühlbauer) mit Münchener Schmäh ins Publikum kickt. Daneben ein mit seinem Stock schießender Major a.D. (Franziska Dietrich), dessen Schlachten so weit zurückliegen, dass ihm deren Orte nicht mehr ganz geläufig sind und eine Dame in Rosa (Constanze Günther): eine ambitionierte Schmachtfetzen-Autorin, die Lebendmaterial für ihre Protagonisten sucht. Der Vierte im Bunde (Juri Olbrich) versteckt sich hinter der Zeitung. Was so gar nicht zu seinem Berufswunsch passt: Schauspieler. Sein Manko: Er kann kein L sprechen. Stattdessen quetscht sich stets ein N durch seine Lippen. Was ihn nicht davon abhält, sein Ziel hartnäckig zu verfolgen, auch wenn Romeo und Julia nur die Nerche hören. Denn: „Mich nockt der Norbeer.“ In die vier Welten der Gäste bricht der Weltenbummler (Götz Hofmann) ein: Frisch aus Afrika samt Folklorehemd zurück beweist er, dass Mut nicht immer lohnt: Während er vor dem Löwen davonlief, stopft der tapfere Bruder diesen nun aus.
Gästewechsel. Weitere Protagonisten tauchen im Café auf. Onkel Philipp (Harald Dollinger), aus dessen Mund die Witze nur so sprudeln und der so gerne mal eine Irrenanstalt von innen sehen will. Dessen Schwester und Nichte (Daniela Echterbruch und Ann Machacek) samt Neffe Alfred (Jonas Echterbruch) – der gemeinsam mit dem Maler die Idee ausheckt, dem Onkel statt einer Anstalt die Pension Schöller zu zeigen. Schließlich hat jeder einen Spleen. Auch wenn Pensionswirt Schöller (Ralph Wilbert) mit Frau Amélie (Carola Schuppert) und Tochter Frieda (Steffi Maier) im Vergleich zu seinen Gästen ungemein gediegen ist.
Der letzte Pensionsgast überspielt die Zeit des ersten Bühnenumbaus. Während hinter dem Vorhang Cafétische den Pensionstüren weichen, probt vorne Sängerin Agatha (Diedke Moser) im blauschimmernden Satinkleid mit exaltierter Federboa ein Lied, während Frieda die Gitarre zupft. Denn ein Auftritt naht: der Gesellschaftsabend in der Pension Schöller – samt Onkel, der sein Glück kaum fassen kann: so viele Irre! Dabei ist er derjenige, der mit falscher Perspektive die Lage missdeutet. Und aufgrund seines seltsamen Verhaltens zum eigentlich Verrückten wird.
Mit „Pension Schöller“ in Hugo Wieners Bearbeitung haben landsberger Bühne und Regisseur Konstantin Moreth gut gewählt: eine Komödie, die selten flach ist, trägt und das Publikum vor lauter Lachen zum Weinen bringt. Sabine Mühlbauer glänzt als Josefa, Mike Bischof sollte eventuell auf erfolgloser Maler umsatteln, so überzeugend spielt er. Selbst die Betrunkenheit nimmt man ihm ab, nichts ist übertrieben. Götz Hofmann fühlt sich sichtlich wohl unter Zottelperücke und Cowboyhut und lockt den Onkel inbrünstig zum Aufbruch in ferne Welten. Harald Dollinger durchtränkt diesen mit Spieltrieb und kindlicher Freude. Und Diedke Moser scheint zur Chansonette geboren. Die Paraderolle hat aber Juri Olbrich als Schauspieler in spe mit Sprachfehler. Seien es Deklinationen aus König Near oder Othenno oder sein Versteck im Schannpnattenschrank: Ist die Rolle an sich schon komisch, macht Olbrich sie durch perfekt-flüssigen L-N-Tausch und toderstem Gesicht trotz kreischendem Publikum zum Highlight.
Das Bühnenbild (Erwin Kloker und Eva Lüps) ist optisch ansprechend und ermöglicht dank Reduktion – wodurch bewiesen wird, dass im Theater Türen keine Wände brauchen – schnelle Umbauten. Und auch, wenn sich ein oder zwei Szenen noch ein bisschen ziehen: Die „Pension Schöller“ der landsberger Bühne ist eine temporeiche Komödie, deren Pointen sitzen und bei der Premiere am Freitagabend das Publikum im ausverkauften Stadttheater zu zwerchfellerschütterndem Lachen anregten. Anschauen.
Gleich heute am Samstagabend um 20 Uhr öffnet „Pension Schöller“ wieder die Pforten.Weitere Vorstellungen: 16., 17., 18., 19., 23. und 24. Januar jeweils um 20 Uhr, an den Sonntagen 12. Und 19. Januar jeweils um 18 Uhr.
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